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Erste stationäre Reha für Kinder mit CI in Österreich

Experteninterview

Reha nach einer Cochlea-Implantation ist ein unerlässlicher Schritt zum Hörerfolg. Seit kurzem können Kinder in Österreich in der Einrichtung kokon einen stationären Reha-Aufenthalt absolvieren.

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Wir (hearbetter – HB) haben einen der Hauptinitiatoren, Primar Dr. Paul Zwittag (PZ) vom Kepler Uniklinikum (KUK) Linz, zum Interview gebeten.

HB: Herr Primar, wie entstand die stationäre CI-Reha in kokon?

PZ: Frühere Versuche seitens der Österreichischen HNO-Gesellschaft, eine stationäre Reha in Österreich zu etablieren, verliefen aus den unterschiedlichsten Gründen im Sand.

Durch Zufall lernte ich die ärztliche Leiterin des Reha-Projekts kokon kennen, Primaria Dr. Evelyn Lechner. Ich kam mit ihr und in der Folge mit weiteren Personen in der kokon-Führungsetage ins Gespräch.

Wir stellten uns die Frage, was HNO-Kliniken von der Heilungsseite und was kokon von der neuropädiatrischen Seite mit einbringen können. Auf Basis der – allerdings sehr knappen – Literatur zu diesem Thema erstellten wir das Reha-Konzept.

Das Programm ist mittlerweile vom Sozialversicherungsträger als österreichweite Reha für ein Kind mit Hörimplantat genehmigt, die einmal pro Jahr zusteht. Auf dem Verordnungsschein steht Neuro-Rehabilitation (Sinnesorgane).

HB: Wie aufwändig war der Genehmigungsprozess?

PZ: Diesen Teil übernahm das kokon-Team unter der Leitung von Frau Dr. Lechner. Genau hier liegt auch das Geheimnis des Erfolgs. Kokon ist eine anerkannte Einrichtung mit zehn verschiedenen Kompetenz-Schwerpunkten. Das Team wusste genau, wie sie die CI-Reha konzipieren mussten. Diese Erfahrung hat uns HNO-Ärzt*innen und -Kliniken einfach gefehlt, ebenso wie die Struktur.

Vorerst sind pro Turnus, also alle vier Wochen, vier Kinder geplant. Wir müssen aktuell schauen, dass wir die Kinder gut behandeln können und auch noch lernen, wo wir nachschärfen und was wir verbessern müssen.

Wenn der Ansturm zu groß werden sollte, werden wir einen Ausbau versuchen.

HB: Welche anderen Faktoren trugen zum Erfolg bei?

PZ: Besonders wertvoll war die Unterstützung, die ich durch die Leitende Logopädin am Med Campus III, Sabrina Ackerl, erfuhr. Dr. Lechner, die mit Herzblut am Projekt arbeitete, konnte auch zwei Logopädinnen dafür begeistern. Idealerweise sollten die Logopädinnen in der Reha-Einrichtung selbst Fittings machen können.

HB: Wie läuft ein Reha-Aufenthalt im kokon für ein Kind mit CI ab? Was ist das Besondere daran?

PZ: Ich sehe die stationäre Reha als Chance für alle Kinder in Österreich, die ein CI bekommen. Jedes Kind erhält für den vierwöchigen stationären Aufenthalt ein individuelles Konzept.

Pro Reha-Termin nehmen nur vier Kinder mit Hörimplantat teil, die in einem ähnlichen Alter sein sollten. Die Kohorten definierten wir mit 0-2 Jahre, 2-4 Jahre und 6+ Jahre. Daneben berücksichtigen wir auch Zusatzerkrankungen oder -beeinträchtigungen.

Vor Beginn des Reha-Aufenthalts prüfen wir die Reha-Tauglichkeit des Kindes aus ärztlicher Perspektive. Dabei werden die einwandfreie Funktion des Implantats, die Wundheilung, ein medizinischer Ohrcheck und die Einstellungen kontrolliert. Ein weiterer Vorteil ist die medizinische Unterstützung durch das HNO-Team des KUK. Sollte ein Kind während des Aufenthalts ein HNO-Problem bekommen, visitieren wir das Kind oder behandeln es bei uns in der Klinik. Das gibt den Eltern Sicherheit.

Ich möchte betonen, dass das Reha-Team nicht aktiv in das Fitting eingreift, mit dem Kinder von den Kliniken kommen. Während der Reha bekommen die Kinder zwar ein eigenes Fitting, das sie später behalten können, aber das bisherige Fitting bleibt bestehen.

Jedes Kind arbeitet während des Reha-Aufenthalts nach einem individuellen Tagesplan, der stark an die (Hör)bedürfnisse angepasst ist. Bei frisch implantierten Kindern sind andere Fähigkeiten wichtiger als bei erfahreneren CI-Kindern. Letztere versuchen vielleicht Störgeräusche wegzufiltern, noch mehr aus dem CI zu holen oder in gewissen Situationen besser zu hören.

HB: Welche Unterschiede sehen Sie im Vergleich zur ambulanten Reha?

PZ: Das Kind kann sich viel besser auf die Therapiephasen einstellen. Es hat zwischen den Therapien Ruhephasen, bleibt aber durch die konzentrierte Auseinandersetzung viel mehr im Training. Die Fortschritte kommen rascher.

Das Reha-Team nutzt die gesamte kokon-Umgebung für die Therapie, zum Beispiel für ein Hörtraining im Wald oder am Spielplatz. Stationär kann man besser auf die individuellen Bedürfnisse eingehen. Ambulant ist eine solche situative Therapieeinheit nicht möglich.

In der ambulanten Reha liegt der Fokus sehr stark auf der Hörbeeinträchtigung. Im stationären Setting können wir auch Mehrfachbeeinträchtigungen berücksichtigen und fachübergreifend arbeiten – das ist einzigartig.

Im kokon werden Kinder aus weiter entfernten Bundesländern wie Vorarlberg, Tirol, Kärnten und dem Burgenland behandelt. Für einen vierwöchigen Aufenthalt zahlt sich die lange Anreise aus.

HB: Wie oft empfehlen Sie eine stationäre Reha?

PZ: Zumindest in der Lernphase des Kindes ist eine stationäre Reha pro Jahr sinnvoll und wird auch von den Sozialversicherungsträgern genehmigt.

HB: Ist der kokon-Aufenthalt für schulpflichtige Kinder nur in den Ferien möglich?

PZ: Nein, es gibt vor Ort eine Anstaltsschule. Die Pädagog*innen vor Ort versuchen den Schulabgang je nach Alter und individuellen Bedürfnissen zu kompensieren. In diesen Unterrichtseinheiten wird auch auf die Hörbeeinträchtigung eingegangen. Mitunter ist eine Logopädin mit dabei.

HB: Sind die Eltern in die Therapie miteingebunden?

PZ: Bei den kleineren Kindern sind sie stark mit eingebunden, bei den größeren nehmen sie eher die Beobachterrolle ein.

HB: Wie ist das Feedback der Eltern und Kinder auf den Reha-Aufenthalt?

PZ: Die ersten Reaktionen auf Aufenthalte im kokon sind durchwegs positiv. Die Eltern konnten sich danach besser mit dem Thema Hörbeeinträchtigung und CI identifizieren. Sie gewannen an Sicherheit, was sich auf die Kinder übertrug.

Beim Reha-Aufenthalt geben Techniker*innen von Hörimplantatfirmen Anwenderschulungen und Informationen über das CI in bestimmten Lebenssituationen, z.B. beim Schwimmen oder Radfahren. Aus Angst, dass das CI beschädigt werden könnte, halten Eltern ihre Kinder manchmal von solchen Alltagsaktivitäten ab.

Die Musiktherapie nahmen die Kinder ebenfalls sehr positiv auf.

Das Ambiente des kokon wirkt eher wie in einem Wellnesshotel und nicht wie eine Klinik. Für Eltern von relativ frisch implantierten Kindern ist das ein Durchatmen nach der stressigen Zeit davor.

HB: Wie erfolgt die Anmeldung zur Reha?

PZ: Das ist ganz einfach! Auf der kokon-Website stehen umfassende Infos für Zuweisende zur Verfügung. Den Reha-Antrag können sich zuweisende Ärzt*innen dort herunterladen. Einfach Neuro-Reha ausfüllen und Cochlea-Implantat-Kind und fertig – man braucht keine hochkomplexen Begründungen hinschreiben.

Für Fragen von Zuweisende stehe ich bei HNO-Themen gern zur Verfügung, bei allgemeinen Reha-Fragen können Sie Primaria Lechner kontaktieren – evelyn.lechner@kokon.rehab.

Dr. Paul Zwittag ist Primar der HNO-Abteilung am Kepler Uniklinikum Linz. Er möchte nicht nur chirurgische Leistungen anbieten, sondern ein Gesamtkonzept, das von der Implantation bis zur stationären Reha alle Stufen umfasst.

Die Erfahrungen mit stationärer Rehabilitation für Kinder werden derzeit in einer Publikation wissenschaftlich aufbereitet. Auf hearbetter halten wir Sie darüber auf dem Laufenden.

 

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